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Niemand hat Bush zum Weltpolizisten bestellt
Das Völkerrecht ist klar: Es geht um die Impunität von Bush

Das Völkerrecht ist keine Mathematik, aber die internationalen Normen, die Rechtsprechung und die Mechanismen sind ausreichend klar. Verträge wie die UN-Charta müssen eingehalten werden: Pacta sunt servanda. Aber was passiert, wenn eine imperiale Macht diese internationale Rechtsordnung grob missachtet ? Gibt es überhaupt Sanktionen, oder muss die zivilisierte Welt die alte Maxime "Macht ist Recht" einfach hinnehmen ? Kann es "Business as usual" nach einem US-Angriff gegen den Irak geben?

Die völkerrechtliche Lage ist klar. Artikel 2, Absatz 3 der UN-Charta besagt: "Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel ... bei." Artikel 2, Absatz 4 schreibt vor: "Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete ... Androhung oder Anwendung von Gewalt."

Nach Auffassung der überwiegenden Mehrheit der Völkerrechtler ist das Gewaltverbot, spätestens seit den Nürnberger Prozessen, zwingendes Völkerrecht bzw. jus cogens. Gewalt darf nur in zwei Situationen angewandt werden, nämlich: wenn der Sicherheitsrat gemäss Artikel 42 der Charta so beschliesst, oder im Falle der Selbstverteidigung (Artikel 51).

Die UN-Generalversammlung hat am 14. Dezember 1974 die Resolution 3314 verkündet, in welcher die Definition der Aggression enthalten ist. Ohne Zweifel stellt ein amerikanischer sogenannter Präventivkrieg gegen den Irak eine solche Aggression und keine Selbstverteidigung dar.

Artikel 5 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 führt das Verbrechen der Aggression unter jenen Verbrechen auf, die der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegen. Zwar ist die einschlägige Festlegung auch der Definition dieses Verbrechens hier seitens der USA stets untergraben worden, jedoch dürfte hier durchaus die Aggressionsdefinition der Generalversammlung als Richtlinie gelten. Ausserdem könnte die Generalversammlung gemäss Artikel 96 der UN-Charta, ein Rechtsgutachten vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag anfordern, um etwas an sich offensichtliches festzustellen, nämlich dass ein solcher Angriff ohne spezifische Genehmigung des Sicherheitsrates - und obwohl zwar bereits Mechanismen zur friedlichen Beilegung der Streitigkeiten eingeleitet worden waren - als "Aggression" im Sinne von Resolution 3314 zu bewerten ist. Gewiss liefern die Resolutionen 678 (1990), 687 (1991) und 1441 (2002) absolut keine Rechtfertigung für eine für das Jahr 2003 geplante militärische Aktion. Eine derartige Interpretation der alten Resolutionen wäre völkerrechtlich unhaltbar und mit der UN-Charta nicht in Einklang zu bringen.

Jetzt ist die Zeit gekommen, eine Emergency-Sonder-Sitzung der General-versammlung einzuberufen, wobei deren Kompetenzen gemäss Resolution 377 ("Uniting for Peace") voll ausgenützt werden sollten.

In einem Krieg gegen den Irak müssen die Regeln der Haager und Genfer Konventionen respektiert werden. Besonders wichtig sind die Regeln zum Schutze der Zivilbevölkerung und die Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Zielen. Nur militärische Ziele dürfen angegriffen werden, wobei zu bemerken ist, dass "Collateral damage", wie er im Golfkrieg von 1991 vorkam und etwa 50,000 Ziviltote verursachte, nur äusserst beschränkt hingenommen werden kann, gemäss dem Prinzip der "Proportionalität".

Gewiss stellten die anglo-amerikanischen Terror-Bombardierungen deutscher Bevölkerungszentren im Zweiten Weltkrieg, die schätzungsweise 600,000 Ziviltote verursachten (Jörg Friedrich: "Der Brand"), delicta juris gentium, Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar. Auch die Regeln über die Behandlung von Kriegsgefangenen sind streng zu beachten. Die skandalöse Situation der afghanischen Kriegsgefangenen in Guantánamo ist mit Recht von den Vereinten Nationen, durch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz und von Amnesty International wiederholt verurteilt worden.

Wenn in einem Krieg gegen den Irak die Regeln des Kriegs-Völkerrechts gebrochen werden, so sind insbesondere Artikel 146 der IV. Genfer Konvention von 1949 und Artikel 85 des ersten Zusatzprotokolles von 1977 zutreffend. Danach müssen die Parteien ihre eigenen Soldaten wegen Kriegsverbrechen zur Verantwortung ziehen, u.a. wegen: "gegen die Zivilbevölkerung oder einzelne Zivilpersonen gerichtete Angriffe". Wenn sie dies nicht tun, wäre auf Artikel 7 und 8 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs zu verweisen, die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit näher definieren.

Zwar gibt es noch keinen Hauptankläger in Den Haag, und nicht alle Staaten haben das Statut von Rom ratifiziert, vor allem die USA nicht. Bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit gilt aber das Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit (universal jurisdiction), so dass auch ein deutsches Strafgericht Zuständigkeit für die Ahndung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in einem eventuellen Irak-Krieg, hätte, so ähnlich wie bei den Verbrechen im Jugoslawien-Krieg. Hinzu kommen die allgemein gültigen Regeln der Menschenrechte. Die USA, Grossbritannien, Spanien und Irak sind alle Vertragparteien des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte.

Artikel 20 des Paktes stipuliert: "Jede Kriegspropaganda wird durch Gesetz verboten." Artikel 6 stipuliert: "Jeder Mensch hat ein angeborenes Recht auf Leben ... Niemand darf willkürlich seines Lebens beraubt werden."

Der Autor dieses Beitrages studierte Rechtswissenschaften in Harvard, arbeitete als Anwalt im Büro Cyrus Vance und 22 Jahre für die Vereinten Nationen, zuletzt als Sekretär des UNO-Menschenrechts-Ausschusses. Es wäre schwierig, eine Verletzung von Artikel 20 durch die Vereinigten Staaten abzustreiten, zumal die Regierung selbst zu dem Krieg hetzt, den wachsenden Widerstand im Volke ignoriert, Gegner des Krieges diffamiert oder intimidiert. Ausserdem sind die Desinformationen in vielen US-Zeitungen und Zeitschriften und die ständige Propaganda für den Krieg schockierend.

Was könnte dagegen unternommen werden? Da die meisten europäischen Staaten sowie auch die USA, Grossbritannien und Spanien gemäss Artikel 41 des Paktes erklärt haben, dass sie die Zuständigkeit des Ausschusses zur Entgegennahme und Prüfung von Staatenbeschwerden anerkennen, könnten z.B. Deutschland und ein Konsortium von anderen Europäischen Staaten eine Beschwerde gegen die Vereinigten Staaten, Grossbritannien und Spanien dem UNO-Menschenrechtsausschuss zur Prüfung vorlegen. Dies könnte präventiv geschehen oder auch nach dem geplanten Angriff.

Staatenbeschwerden wären auch im europäischen System möglich gemäss Artikel 33 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - allerdings nur gegen die beteiligten europäischen Staaten.

Im UNO-system können auch einzelne Individuen gemäss dem Fakultativprotokoll Individual-Beschwerden zur Prüfung durch den UNO-Menschenrechtsausschuss einreichen. Allerdings nicht gegen die Vereinigten Staaten oder Grossbritannien, welche die Zuständigkeit des Ausschusses zur Annahme solcher Beschwerden bisher nicht anerkannt haben, wohl aber gegen Spanien.

Jedoch könnte gemäss Artikel 34 der Europäischen Menschenrechtskonvention eine Individual-Beschwerde gegen Grossbritannien bzw. gegen Spanien eingereicht werden, und zwar wegen Verletzung der Artikel 2 und 3 jener Konvention.

Wozu würde dies dienen? Es ist klar, dass wenn sich die Vereinigten Staaten vom Sicherheitsrat nicht beeindrucken lassen wollen, sie genauso jegliche Feststellungen durch den Internationalen Gerichtshof und den Menschenrechtsausschuss missachten werden. Immerhin wäre eine deutliche Feststellung der rechtlichen Lage durch gerichtliche und quasi-gerichtliche Instanzen sinnvoll. Dies wäre insofern nützlich, um das Völkerrecht zu behaupten, und spätere finanzielle und andere Ansprüche leichter festsetzen zu können.

Es gäbe auch andere Wege, die demokratische Stimme der Mehrheit der Menschen in der Welt gegen den Krieg, und das Verlangen nach Achtung des Völkerrechts zu unterstreichen, so z.B. durch die Einsetzung eines "Peoples' Tribunal" so wie seinerzeit das Russell Tribunal während des Vietnam-Krieges, das "Tribunal Permanent des Peuples" (Paris 1984) und das vom ehemaligen U.S. Justizminister Ramsey Clark einberufene Golfkriegs-Tribunal von 1992, das feststellte, dass während des ersten Golfkrieges viele zehntausende Zivilisten im Irak völkerrechtswidrig getötet wurden.

Bei der jetzigen Irak-Krise ist die völkerrechtliche Lage eindeutig. Der US-Angriff ist schlicht völkerrechtswidrig. Ebenso klar ist der von behauptete Anspruch der Regierung Bush, das Völkerrecht ignorieren zu dürfen - und zwar ohne Konsequenzen. Hier haben wir es mit einer Frage der Impunität bzw. Straflosigkeit zu tun. Ob dies wirklich auf Dauer so bleiben wird? Mehr als 100 amerikanische Juristen haben Präsident Bush vor den strafrechtlichen Konsequenzen eines illegalen Krieges gewarnt. Auch Blair und Aznar sind gewarnt worden. Ein Fall der dringenden Selbstverteidigung liegt auf ihrer Seite keinesfalls vor.

Der chilenische General Augusto Pinochet ist bereits wegen seiner Verbrechen als Chile-Diktator vor Gericht gekommen; und wäre er nicht so alt und gebrechlich gewesen, wäre er auch verurteilt und bestraft worden. Dies ergibt einen Präzedenzfall für die Verfolgung anderer Regierungschefs, wenn sie denn nicht zu alt und krank sind und keine Amts-Immunität mehr geniessen. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Entscheidung des Belgischen Obersten Gerichtes vom 12. Februar 2003 hinzuweisen, welche eine gerichtliche Untersuchung des Falles Sabra und Shatilla gegen Amos Yaron und Ariel Sharon einräumte.

Vor 57 Jahren sagte der amerikanische Hauptankläger in Nürnberg, Robert Jackson, bezüglich des Verbrechens gegen den Frieden:

"Lassen Sie es mich deutlich aussprechen: Dieses Gesetz hier wird zwar zunächst auf deutsche Angreifer angewandt. Es schliesst aber ein, und muss, wenn es von Nutzen sein soll, den Angriff jeder anderen Nation verdammen, nicht ausgenommen derjenigen, die hier zu Gericht sitzen." (IMT, Bd. 2, 21. November 1945, S. 101)

Dem ist nichts hinzuzufügen. Oder doch das Fazit: Wenn Bush und Blair nicht vor Gericht gestellt werden, werden sie im Urteil der Geschichte immerhin als verlogene Politiker dastehen; gegebenenfalls könnten sie aber durchaus auch zu angeklagten und verurteilten Verbrechern werden.

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