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Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.06.1999, S. 11 Wehrmacht und Kriegsverbrechen
Ein Sammelband bemüht sich um ein wirklichkeitsnahes Bild

Hans Poeppel, Wilhelm-Karl Prinz von Preußen, Karl-Günther v. Hase (Herausgeber): Die Soldaten der Wehrmacht. Mit einem Vorwort von Gerhard Stoltenberg. F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung, München 1998. 592 Seiten, 39,90 Mark.

Dieses Buch entstand aus dem Verlangen seiner Herausgeber, der "Wehrmachtausstellung" von Heer, Naumann und Reemtsma ein wirklichkeitsnäheres Bild der Wehrmacht in Hitlers Krieg entgegenzustellen. Das Buch handelt, zu seinem Vorteil, nicht allgemein von "den Soldaten" in seinem Titel, sondern von jenen kritischen Stellen, an denen sich NS-Ideologie und Vernichtungswille der politischen Führung mit tradierten Wertbegriffen der deutschen Armee berührten, kreuzten oder sie beseitigten.

Dreizehn Autoren behandeln besonders umstrittene Fragen, unter ihnen die politische Erziehung des Offizierskorps (Gustav-Adolf Caspar), das zwiespältige Verhältnis der höchsten Offiziere zum Regime und ihr Unvermögen, Hitler geschlossen den Gehorsam zu verweigern (Romedio Galeazzo Graf Thun-Hohenstein), die Beachtung und Mißachtung des Kriegsvölkerrechts zu Lande im Rußlandfeldzug (Horst Rhode), in der Luft (Horst Boog) und zur See (Helmut Schmoeckel), die Militärjustiz (Franz W. Seidler), den Partisanenkrieg im Osten (Klaus Hammel, Wolfgang Hasch, Gustav Friedrich), sowie Versuche, den quantitativen Umfang der Beteiligung der Wehrmacht an den Verbrechen im Osten zu ermessen (Horst Rhode, Andreas Broicher, Alfred de Zayas und Walter Post). Manche Beiträge überschneiden sich teilweise. Doch hat das auch einen Vorzug, daß die unabhängig voneinander entstandenen Beiträge auch einander bestätigen, daß Angehörige der Wehrmacht sich relativ selten systematisch begangener Kriegsverbrechen schuldig machten, häufiger jedoch einzelne Einheiten peripher, zum Beispiel durch weiträumige Absperrungen, an Massenmorden des SD und der Polizeiverbände im rückwärtigen Heeresgebiet beteiligt waren.

Eng aber war die Zusammenarbeit bei der ihnen gemeinsam aufgetragenen Partisanenbekämpfung. Sie war gegenüber wirklichen Partisanenverbänden eine unabweisbare militärische Notwendigkeit, freilich völkerrechtlich sehr unzureichend geregelt und damit offen für die Unterdrückung einer grausamen Kampfführung mit Grausamkeiten. Gleichzeitig benutzten SS-Verbände und von ihnen geführte nichtdeutsche Milizen den Begriff der Partisanenbekämpfung zur Tarnung ihrer Mordaktionen. Höhere Stäbe des Feldheeres waren durch Mitwisserschaft beteiligt, da die Einsatzgruppen des SD gehalten waren, ihnen Meldung zu erstatten, die nicht selten unvollständig und verschleiernd, wiewohl durchsichtig formuliert war. Ihren eigenen Vorgesetzten im Reichssicherheitshauptamt der SS berichteten die Einsatzgruppen anders.

Alfred de Zayas macht auf die systematische Tarnung und Geheimhaltung der von der SS begangenen Verbrechen aufmerksam, auch darauf, daß Mitteilungen darüber an Dritte unter höchster Strafandrohung standen. Daß es der Geheimhaltung gelingen konnte, den Zusammenhang dieser Kriegsverbrechen zu verbergen, kann man sich heute, gewohnt an vielfältige und freie Informationsmöglichkeiten, kaum noch vorstellen. Doch wie erfolgreich die Geheimhaltung selbst innerhalb der SS durchgehalten wurde, beleuchten zwei überraschende Mitteilungen bei de Zayas. Als 1943 die Gestapo-Stelle in Lublin von Morden im Lager von Lublin-Majdanek erfuhr, versuchte sie, polizeilich zu ermitteln. Mitte 1944 erhob ein SS-Richter in Berlin Anklage gegen den Untersturmführer Grabner wegen Mordes in 2000 Fällen in Auschwitz, daraufhin legte das SS-Gericht Berlin im August Kaltenbrunner, dem "Gerichtsherrn" des SD, einen Haftbefehl gegen Eichmann vor - den Kaltenbrunner natürlich nicht akzeptierte.

Selbst der Wortlaut der nach dem Krieg berühmt gewordenen Rede Himmlers vor hohen SS-Führern am 4. Oktober 1943 in Posen über die "Judenevakuierung" ließ im dunkeln, wovon er eigentlich "unter uns einmal offen" zu sprechen vorgab. Wer unter den hohen SS-Funktionären Näheres nicht kannte, hätte es auch dieser Rede nicht entnehmen können.

Auch die Spruchpraxis der deutschen Militärgerichte verdient Beachtung. Sie war streng, oft übertrieben streng. Doch bei Ausschreitungen deutscher Soldaten gegenüber der sowjetischen Zivilbevölkerung (Diebstahl, Raub, Mord und Vergewaltigung) habe der berüchtigte "Barbarossa-Erlaß", der der sowjetischen Zivilbevölkerung den Schutz deutscher Militärgerichte entzog, nichts oder nur wenig an dieser Strenge geändert, schreibt de Zayas.

In dem Beitrag von Franz Seidler über die Wehrmachtjustiz fallen große Unterschiede auf, nicht nur zwischen den drei Wehrmachtsteilen, sondern auch zwischen Todesurteilen und tatsächlicher Vollstreckung. Die meisten Beiträge des Buches kennzeichnet Bemühen um kritischen Abstand zum jeweiligen Untersuchungsgegenstand. Nur ein Aufsatz, der von Joachim von Schwerin, hält da nicht mit. Insgesamt entsteht das Bild einer Wehrmacht, deren oberste Führung den politischen Herausforderungen, vor die sie die Diktatur stellte, nicht gewachsen war.

Vor allem zwei Gründe lassen sich dafür nennen: Die politische Mitverantwortung und Mitbestimmung hätte von der hohen Generalität gründliches Nachdenken über die Grenzen des Primats der politischen Führung und damit auch über die Grenzen des Gehorsams erfordert. Sie wich davor zurück. Das andere Urübel war der Verlust einer sicheren ethischen Gewißheit darüber, daß sie unter keinen Umständen und auf keinem Kriegsschauplatz Einbrüche in die Schranken des humanitären Kriegsvölkerrecht, dulden durfte.

Es erscheint unbegreiflich, daß Hitler mit dem Programm einer rücksichtslosen Kriegführung "gegen den Bolschewismus" nicht sofort auf den entschiedensten Widerspruch der ganzen Gruppe der Generalobersten und der Feldmarschälle stieß. Sie ließen sich die Kontrolle über das eroberte Gebiet nehmen, obwohl sie aus dem Polenfeldzug wissen mußten, was von den SS-Verbänden Himmlers hinter der Front zu befürchten war. Im Partisanenkrieg, über den Wolfgang Hasch und Gustav Friedrich berichten, war die Unterscheidung zwischen Sicherungsaufgaben des Heeres und denen der SD-Verbände der SS ohnehin nicht aufrechtzuerhalten. Die besondere Tücke und Härte des Partisanenkampfes geht in der Regel von den Partisanen aus, die es darauf anlegen, mit Verstößen gegen alle Kriegsregeln die Besatzungsmacht zu grausamer Repression zu provozieren und so die Widerstandswut im Lande zu steigern. Solche Erfahrungen mußten nach 1945 auch die Briten in Griechenland, die Niederländer in Indonesien, die Franzosen in Algerien und die Amerikaner in Korea und in Vietnam machen. Die Regellosigkeit der Kampfesweise von Partisanen und deren Unterdrückung macht regelmäßig die Zivilbevölkerung zu Opfern beider Seiten.

Zu den methodisch bemerkenswertesten Beiträgen des Bandes gehören zwei Beiträge, die mit systematischen Stichproben in dem großen Bestand mehrerer hundert Kriegstagebücher von Divisionen, Korps und Armeen den ungefähren Umfang kriegsrechtswidriger Handlungen der Wehrmacht ermitteln wollen. Horst Rhode versucht den Grad der politischen Indoktrination der Truppe und der höheren Stäbe des Ostheeres am Beispiel der Befolgung des "Kommissar-Befehls" zu klären. Hat das Ostheer Hitlers Befehl, gefangengenommene politische Kommissare der Roten Armee ohne Umstände zu töten, mit wenigen Ausnahmen befolgt, wie Jürgen Förster und Manfred Messerschmidt meinen, oder wurde der Befehl zur Ermordung der Kommissare überwiegend unterdrückt, ignoriert oder umgangen? Rhode kommt zu dem vorläufigen Ergebnis, daß das Heer sich zwar in größerer Zahl Tötungen gefangener Kommissare, wozu er auch Auslieferung an den SD zählt, zuschulden kommen ließ, aber diese Befehle vielfach "gar nicht, unregelmäßig oder zumindest widerwillig" befolgt worden seien. Wenn angenommen werden kann, daß es in der Roten Armee auf je 80 Soldaten oder, vorsichtiger geschätzt, auf je 200 Soldaten einen Kommissar gegeben habe, fällt auf, wie gering die Zahlen über die Kommissare sind, die die deutschen Stäbe nach oben meldeten. Die Relationen, auf die Rhode bei seinen Stichproben stieß, schwanken zwischen einem Kommissar je tausend und einem je zehntausend oder noch mehr Gefangenen. Die 26. Infanterie-Division meldete unter ihren 14 000 Gefangenen des Jahres 1941 nicht einen einzigen Kommissar.

Walter Post untersucht alle Anschuldigungen von Kriegsverbrechen gegen Angehörige der 6. Armee (etwa ein Sechstel des gesamten Ostheeres), die er im Zusammenhang mit dem Kommissar-Befehl, dem Gerichtsbarkeitserlaß "Barbarossa", dem Partisanenkrieg und der wirtschaftlichen Ausbeutung der Ukraine in der Rechtsprechung des Militärgerichtshofs V und der Literatur für den Zeitraum zwischen Juni 1941 bis Januar 1942 fand. Unter reichlich groß gewählten Annahmen taxiert er, daß 6180 Offiziere und Mannschaften von den 416 000 Mann der 6. Armee mit Verbrechen in Berührung gebracht werden könnten. Das sind immerhin etwa 1,5 Prozent. Quantitäten können gewiß nicht der wichtigste Maßstab für Art und Grad der Beteiligung der Wehrmacht an den Verbrechen des Regimes im Osten sein - aber sie helfen doch, ein gewisses Augenmaß für das Urteil über die Großorganisation Wehrmacht in Hitlers Krieg herzustellen.

GÜNTHER GILLESSEN

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